Aktuell

Das Programm von heute
00:00 The New Noize
Nice Boys Don't Play Rock 'n' Roll
05:00 Offene Sendefläche
nach § 34 ThürLMG
09:00 Unterdessen
Das Magazin ...
11:00 African Spirit
Afrikanisches zweisprachiges Magazin
12:00 handmade
Regionale Musik
14:00 Radio Bounce
Zu Fett fürs Ballett
15:00 Rock+Jazz+Dazwischen+Darüberhinaus
Musiksendung RJ2D
17:00 Osmose
Sendungen Freier Radios
18:00 Unterdessen
Das Magazin ...
20:00 Radio Schalom
jüdisches Leben
21:00 Muggefuck
musikalische Neuvorstellungen
22:00 Fresh Files
Electronic Music

"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Krieg -

Ein allfälliger Bedarf nach globalen Krisenszenarien ist heutzutage leicht befriedigt. Einigermaßen geordnet vollzieht sich der Aufstieg der Schwellenländer zu entwickelten Staaten, selbst­ver­ständ­lich mit periodischen Rückschlägen, wie uns die Demonstrationen in Brasilien vor der Fußball-WM vor Augen geführt haben; aus dieser Reihe schert eigentlich nur China aus, das seine globalen und vor allem regionalen Machtansprüche effizient und zum Teil auch offen aggressiv aufstellt.


> Download

artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_31_200px.pngEin bisschen beziehungsweise relativ gründlich enttäuscht ist man von der ANC-Führung in Südafrika, welche offenbar nicht mit allererster Priorität auf die Beseitigung von Armut und Kriminalität hin arbeitet, sondern in erster Linie auf die Alimentierung der eigenen Bankkonten. Aber mit solchen Dingen muss man halt vorübergehend rechnen.

Dafür tut Gospodin Putin dergleichen, als wäre er bereit, in den nächsten Monaten wieder mal einen großen, vielmehr: einen kleinen vaterländischen Krieg vom Zaun zu brechen, weil ihm die EU in der Ukraine in seine Einflusssphäre hinein gepinkelt hat. Ich gehe mal vorsichtshalber davon aus, dass der Konflikt nicht weiter ausartet, und wenn ja, dann nicht über die Ukraine hinaus, aber die Span­nungen haben natürlich schon stark zugenommen und betreffen die gesamte Schwarzmeer-Region, womit übrigens die Türkei auch in diese Richtung erheblich beansprucht wird, neben den Pro­blemen mit den offiziellen Syrern, dem Isis-Kalifat und den Kurden an der Südgrenze. Ich frage mich nach wie vor, wie die EU dazu gekommen ist, in der Ukraine eine derart katastrophale Außen­politik zu fahren, die eigentlich eine Nicht-Außenpolitik ist, aber anderseits einen großmächtigen Ges­tus annimmt, als hätte die EU tatsächlich Freiheiten und Perspektiven anzubieten, wo sie doch der Ukraine nicht mal das Erdgas liefern kann, das Putin demnächst abstellen wird, einmal abge­se­hen davon, dass man in den EU-Vorposten Bulgarien und Rumänien nach wie vor auf echte struk­tu­relle Verbesserungen wartet. Nein, wirklich, hier hat sich die Supermacht Europa benommen wie eine Figur aus dem Kasperletheater, und dementsprechend sind aus der Maidan-Bewegung in Kiew auch einige echte Kasperpuppen hervor gegangen, in erster Linie der bescheuerte Minister­prä­sident Jazenjuk, der die Ukraine schon 2008 zusammen mit Julia Timoschenko und Viktor Juschtschenko in die Nato führen wollte. Die Amerikaner im Hintergrund haben ihre Kinnlade John Kerry nun halt weit vorgeschoben und wettern reflexartig gegen den Erbfeind, was die Europäer nach der ersten Expansions-Euphorie in die Zwickmühle bringt. Geschieht ihnen recht, möchte man sagen, aber vielleicht ist eher die Hoffnung am Platz, dass sie daraus etwas lernen und ihre Ostpolitik vielleicht nicht weiterhin frontal gegen den mächtigen Nachbarn Russland ausrichten. Was will man damit denn bezwecken? Etwa einen Kurswechsel? Eine Demokratisierung? – Nicht im Ernst, nicht auf diese Art und Weise, so geschieht genau das Gegenteil, und statt in den Grenzregionen einen ge­wis­sen Einfluss aufzubauen oder die Beziehungen zu vertiefen, ereignet sich genau das Gegenteil.

Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nimmt man schon fast als Konstante wahr in der neueren Geschichte. Ich habe an dieser Stelle kürzlich meinem Verständnis für die militärische Operation der Israeli Ausdruck gegeben, und daran hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert. Das heißt nicht, dass ich die damit verbundenen Verwüstungen gut finde, aber wenn die Jungs halt dauernd Raketen nach Israel hinein schießen, dann stößt das irgendwann mal an eine Grenze, und dass es den Israeli bisher gelungen ist, die meisten Raketen abzufangen, heißt noch lange nicht, dass das auf ewig so weiter geht. Neuerdings häufen sich die Stimmen, welche davor warnen, dass bei einer Schwächung der Hamas einfach noch radikalere Gruppen nachstoßen würden, womöglich sogar die Isis-Kalifen. Nun – auch dieser Prozess ist nicht neu. Die Hamas selber ist ja justament entstanden, als die PLO sich in den Friedensprozess begab. Ich habe schon vor Jahren ohne weitere Mühe geweissagt, dass sich dieser Prozess ad libitum wiederholen wird, sobald wieder eine Annäherung erfolgt. Man kann so was unter dem Rubrum der Hartnäckigkeit bewundern oder auch nicht, auf jeden Fall sind dies die Rahmenbedingungen, welche den Staat Israel so langsam zu einem einzigen Bunker werden lassen im Nahen Osten, was selbstverständlich gewaltige Folgen für die einstmals liberale und sozialdemokratische Gesellschaft hat. Vielmehr: Diese Folgen sind ja schon längstens sichtbar in der Person von Vögeln wie Benjamin Netanjahu und Avigdor Liebermann. Lustig ist das nicht.

Ebenso wenig lustig ist es aber, wenn sich propalästinensische Bewegungen immer noch auf das Unrecht aus den zwanziger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts berufen und damit die Gewalt rechtfertigen, die nach wie vor von den politisch-militärischen Organisationen der Palästinenser ausgeht. Selbstverständlich geht vom israelischen Staat auch Gewalt aus, aber in der Regel handelt es sich dabei eben um staatliche Gewalt und nicht um paramilitärische Angst- und Terrorattacken. Was ich dagegen von der israelischen Siedlungspolitik halte, habe ich an dieser Stelle auch schon zur Genüge formuliert. So scheint sich das Unglück auf alle Ewigkeiten zu perpetuieren, bis halt die Kreuzritter endlich wieder aus Palästina hinaus geprügelt worden sind, wie dies zweifelsfrei die arabisch-islamische Lesart ist. Dabei kann man sich noch fragen, welches gegenwärtig der Kräftestand im Dreieck Saudiarabien–Katar–Kalifat ist, wobei ich mir erlaube, die Schiiten in Teheran und im Libanon im Moment mal auszunehmen, da sie in letzter Zeit irgendwie nicht so richtig Bock hatten auf die übliche Antikreuzritter-Phrasendrescherei; und ebenso beiseite lasse ich den zweifellos weiterhin wichtigen Akteur Ägypten. Von den Saudiarabiern erstaunt mich übrigens, dass sie ihre Frauen überhaupt im Passagierraum der Automobile mitfahren lassen, eigentlich verstaut man solche Dinge doch sonst im Kofferraum, man könnte den ja immer noch mit Samt und Gold ausschlagen, aber die Frau durch das bloße Mitfahren im Passagierraum sozusagen auf eine gleiche Stufe wie den Mann heraufzumenschlichen, das ist doch unislamisch. Oder sollte ich mich da schon wieder irren?

Jedenfalls haben die Islamerer gegenwärtig auf jeden Fall eine geballte Feuerkraft auf unsere Vor­stel­lungswelt, sodass man sich tatsächlich manchmal fragt, ob die mindestens teilweise friedliche und fort­schritt­liche Rhetorik von Kirchenfürsten wie Papst Francisco nicht eine etwas unzeitgemäße Reaktion auf den zutiefst mittelalterlichen Sturmversuch militanter islamischer Kräfte auf die Moderne darstellt, wobei ich mit diesem Bild zweifellos ungenau und ungerecht bin, aber der Eindruck stellt sich nun mal häufig ein, wenn man zur Kenntnis nimmt, was die Jungs so zum Besten geben zum einen, welche Finanzmacht hinter ihnen steht zum anderen. Zum dritten stellt man sich selber die Frage, wie man dazu kommt, in solchen Kriterien zu denken, also in kriege­ri­schen Kriterien, und da kommt man zum einzig sicheren und fest stehenden Schluss: Krieg ist wieder eine Option. Der Weltfrieden war schon immer ein rhetorisches Erzeugnis, aber der Frieden an und für sich hielt sich doch lange als Tabu für den Alltag und für die breiten Bevöl­ke­rungs­schichten, und zwar oft unter eigenartigen Formen, namentlich während dem kalten Krieg, als Frieden gleichbedeutend war mit dem Gleichgewicht des Schreckens und garantiert wurde durch eigenartige Begriffe wie Overkill und Konsorten. Heute hat man sich an die Kriegsrealitäten wieder gewöhnt, in unseren Ländern natürlich vor allem dank der Vermittlung durch Al Kaida; während der Balkan-Krieg noch als Ausreißer in einer spezifischen ideologischen Konstellation begriffen werden konnte, wird heute ein Krieg oder sogar der Krieg an und für sich jederzeit und überall für möglich gehalten.

Das hat nichts damit zu tun, dass die Menschen übermäßig kriegslüstern wären oder im Krieg die Fortsetzung des Videospiels mit ähnlichen Mittel suchen würden; diese Typen gibt es zwar auch, aber sie befinden sich unterdessen wohl alle in Syrien bei den Jihadisten. Nein, es ist einfach so, dass der Schrecken des Kriegsalltags unendlich weit entfernt ist, dass man die Option Krieg halt als Option unter anderen wahrnimmt oder für realistisch hält, und zudem schlägt auch die unterdessen endemische Präsenz unseres Hauptalliierten, der Vereinigten Staaten von Amerika, in allen Kon­flikt­­herden der ganzen Welt mit eigenen Militärpersonen ebenfalls zu Buche bei der öffent­lichen Meinung. In diesem Zusammenhang spielt übrigens die Entwicklung neuer Waffen und Ausrüs­tun­gen eine nicht zu unterschätzende Rolle; so ein US-amerikanischer Marine gilt ja heutzutage wie eine besonders teure Anlage und kostet inklusive Ausbildung und Ausrüstung gut und gerne seine 200'000 US-Dollar, was ihm schon fast Maschinen-Status verleiht. Insofern gilt für den US-Soldaten tatsächlich der besondere Schutz des menschlichen Lebens, und die tatsächlichen Verluste werden in den USA auch ökonomisch bitter beweint. Wobei der Krieg zweifelsfrei jene Industrie ist, welche ihre Rationalität am stärksten aus der Zerstörung ableitet, aber nicht aus der schöpfe­ri­schen. Insofern ist der ökonomische Verlust gleichzeitig ein ökonomischer Gewinn, nämlich für die Rüstungsindustrie. Aber die macht ja nicht so einen bedeutenden Anteil an der Volkswirtschaft aus; die sechs größten Rüstungsunternehmen der USA erzielten im Jahr einen Umsatz von ungefähr 150 Mia. US-Dollar, das ist nicht besonders bei einem Bruttoinlandprodukt von 15 Billionen Dollar. Aber wie auch immer: Wenn heute jemand sagen würde «Nie wieder Krieg», dann würde er wohl auf seine geistigen Fähigkeiten hin untersucht. Vielmehr ist der Krieg wieder sehr präsent in unseren Köpfen. Die Vorstellung wird einfach domestiziert durch die andere Vorstellung, dass es sich um einen sehr intensiv technologischen Krieg handeln würde, der also wieder von den Ver­hee­rungen der ersten zwei Weltkriegen abrücken würde und eine gewisse Zielgenauigkeit zurück erringen täte. Na, da wollen wir doch mal schauen.

Die Gesellschaft als solche ist bei uns wie gesagt nicht bellizistisch. Aber mit den verschiedenen Tabus des Krieges fallen auch andere Tabus, vor allem wegen der zeitlichen Distanz. Gerade im Zusammenhang mit dem israelischen Angriff auf den Gazastreifen brechen in Europa stellenweise die Tabumauern gegen den Antisemitismus ein. In den meisten Gegenden des Kontinents hat dies keine weiteren Folgen, weil es sich um Einzelfälle oder Randgruppen handelt; aber selbst­verständlich gibt es auch andere Gebiete. Die Solidarität mit den Palästinensern besteht ihrerseits aus einem laizistischen, sozusagen liberalen Flügel, welcher die Verheerungen des Feldzugs anprangert, und einem radikalen Flügel mit offenem Judenhass. Das sind schwierige Situationen. Auch sie entstehen nicht zum ersten Mal; aber je länger der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern andauert, desto vehementer kommen die antijüdischen Stimmen auch bei uns zum Ausdruck. Wobei die jüngste Welle vielleicht insofern täuscht, als hier zum ersten Mal die sozialen Netzwerke in die Hatz mit einbezogen wurden und werden. Insofern leistet die heutige Phase einen wichtigen Beitrag zur Erkenntnis der Natur solcher Kommunikationsformen.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.



.

Albert Jörimann
29.07.2014

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen


Optional, wird nicht veröffentlicht.