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Offener Brief an den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein

Für eine Kulturhauptstadt Erfurt

Der Staat ist nach unserem Staats- und unserem Kulturverständnis nicht für Kunst und Kultur zuständig, sondern für die Bedingungen, unter denen sie stattfinden. Deswegen ist wahrscheinlich die wichtigste Begabung für einen Politiker die Einsicht in die eigene Bedeutungslosigkeit. Und die Größe, für andere die Entfaltungs-spielräume zu schaffen und zu sichern, die sie für ihre Begabung, ihre Kreativität, ihre Entwürfe brauchen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert, 16. Mai 2007

Kunst und Kultur sind nicht die schönste Nebensache, sondern sind Seismographen, die Dinge ansprechen, ans Licht holen, bevor sie explodieren. Sie fördern und ermöglichen oft erst das Gespräch unter Menschen und haben somit eine enorme gesellschaftliche Funktion. Kunst und Kultur sind zentrale Grundlagen demokratischen Zusammenlebens. Die Förderung von Initiativen und Vereinen, die sich der Kunst und Kultur verschrieben haben, können deshalb nicht mit wirtschaftlichen Maßstäben gemessen werden, denn sie sind ein unersetzlicher, nicht aufwiegbarer Beitrag zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft.

Das Kunsthaus Erfurt ist durch die Einstellung der finanziellen Förderung seitens der Stadtverwaltung Erfurt in seiner Existenz bedroht. Gegründet wurde es vor 19 Jahren von der Erfurter Künstlerinnengruppe Exterra XX. Diese Gruppe arbeitete seit Anfang der 1980er Jahre zusammen und sorgte mit ihren Super 8-Filmen, Fotografien, Texten, Malerei und Performances auch international für Aufmerksamkeit. Durch ihre unabhängige, künstlerische Arbeit, als auch politische Ausrichtung waren die Künstlerinnen den Herrschenden in der DDR ein Dorn im Auge. Im Herbst 1989 fanden sie ein marodes Haus in der Erfurter Altstadt, welches sie mit viel Hingabe umfangreich sanierten. Dort entstanden Ausstellungs- und Veranstaltungsräume, Ateliers und eine Künstlerwohnung. Neben monatlich wechselnden Ausstellungsprogrammen widmet es sich über Veranstaltungen und Diskussionsrunden aktuellen gesellschaftlichen und kulturpolitischen Themen in Kooperation mit regionalen und überregionalen Partnern. In der Galerie und dem Projektraum fanden bislang über 150 Ausstellungen mit nationalen und internationalen zeitgen össischen Künstlern statt.

Seit vielen Jahren unterstützt die Stadt Erfurt das Kunsthaus. Ab März 2008 wurde diese Förderung ohne Ankündigung eingestellt. Durch diese ausbleibende finanzielle Unterstützung ist das Kunsthaus im Ganzen bedroht.

Wir sehen aber auch generell in Erfurt eine mangelnde Unterstützung für zeitgenössische Kunst und Kultur. Die Rolle der Kunst und ihre Bedeutung wird zu wenig reflektiert. Was bedeutet Kunst für die junge Generation und welchen Beitrag kann sie für ihre Bildung leisten? Die Kulturverantwortlichen der Stadt müssen sich entscheiden, investieren sie in die Zukunft und unterstützen Initiativen und Vereine, die sich für aktuelle Tendenzen der Kunst stark machen, oder begnügen sie sich ausschließlich mit rückwärtsgewandten, mittelalterlichen Jahresthemen wie Rosenwunder und Lutherwanderung.

Es ist an der Zeit in Erfurt einen Kunst- und Kulturkongress einzuberufen, bei dem der Rat und die Kreativität der Kulturschaffenden eingeholt werden sollte.

Nur eine Stadt in der Kunst ganz offiziell zur Hauptsache erklärt wird, ist im wahren und ureigentlichen Sinn eine Kulturhauptstadt.

Wir, die unterzeichnenden Künstler, Kulturschaffenden, Kulturinteressierten und Kulturvermittler wenden uns gegen die momentane Entwicklung der Erfurter Kulturpolitik und fordern die Wiederaufnahme der finanziellen Unterstützung des Kunsthauses.

Der offene Brief kann auf der Internetseite kulturerfurt.byte-revolution.de digital unterzeichnet werden

Weitere Informationen auf www.kunsthaus-erfurt.de


15.08.2008

Kommentare

  1. Wenn ein CDU-Berufspolitiker von "unserem" Staats- und Kulturverständnis spricht, dann wird mir, voreingenommen wie ich nun mal bin, mulmig und ich könnte, untolerant wie ich nun mal bin, durchaus zu dem Schluss kommen, dass das aktuelle Kulturgeschehen in Erfurt wirklich etwas mit Lammerts Ansicht, "anderen" Entfaltungsspielräume zu schaffen und zu sichern zu tun hat.....

    Ralf Thielken - 18.08.2008, 12:40

  2. Zynisch könnte man noch dieses Zitat hinzufügen:
    Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.
    Jedes Volk bekommt auch die Kultur, die es verdient!
    (de Maistres)

    Nici Wegener - 18.08.2008, 13:00

  3. Gestern hat der Herr Kindervater eine neue Frechheit bei einen MDR-Radiointerview verbreitet: kopiert den folgenden Link: http://www.mdr.de/mediathek/thueringen/4432654.html
    in Eure Adressleiste und sucht nach dem Beitrag „Kunsthaus Erfurt vor dem Aus“.
    Ich finde es allein den Titel Kulturbeigeordneter unwürdig, wenn dieser (!!) erklärt, dass das Erfurter Kunsthaus nicht genügend Kunstinteressierte anlockt und er Ihnen deswegen keine Steuergelder hinterherwerfen (!!) wird, … Aber in aller Öffentlichkeit zu verkünden er hätte einen „besseren Geschäftführer“ als Monique Förster der das Kunsthaus an Ihrer Stelle führen könnte, da fehlt mir die Luft zum Atmen! Unglaublich. Da wird in der wunderschönen Puffbohnenmetropole eben einfach mal schnell ein Kunstverein in die Pleite getrieben, um die Visionen (ich ahne böses für zeitgenössische Kunst) eines Herrn Kindervater's zu verwirklichen.

    Nici Wegener - 21.08.2008, 09:41

  4. Auf keinen Fall sollte hier versucht werden mit der Brechstange und Entgleisungen aus den bisherigen Förderungen einen dauerhaften Anspruch herzuleiten. Sondern ganz im Gegenteil um die weitere Förderung zu kämfen und zwar in der Form des Beweises der Fürderungswürdigkeit ist der Weg. Gegenüber der Mehrzahl von Künstlergruppen befindet sich das Kunsthaus doch in einer Situation, die zumindest in den letzten Jahren mehr als konfortabel war. Und das Dank der Förderung aus öffentlichen Mitteln. Ich denke auch man sollte nicht nur bei den Fakten bleiben sondern diese auch glasklar darsstellen. "Ein marodes Haus", Fakt ist doch, dass auch dieses marode Haus einen gewissen Wert darstellte und das Grundstück in dieser Lage sogar einen erheblichen. Meines Wissens ist das Haus kostenlos überlassen worden und mit den nicht unerheblichen Fördermitteln saniert worden, die Eigeninitiative war doch sicher ein Bestandteil des Konzeptes, ohne das dieses haus nicht zur Verfügung gestellt worden wäre.
    Ich bin selbst Künstler und verfolge mit wachem Auge die Erfurter und Thüringer Kunstszene und kann nur noch mal betonen, dass die Mehrzahl der Künstlergruppen schon über einen Bruchteil der in das Kunsthaus geflossenen Summen froh wäre.
    Es steht mir nicht zu die vertretene Kunst zu bewerten, es ist aber wohl hier wie meist, jeder hält seins für das Beste und Förderungswürdigste.
    Genau deshalb ist es richtig die Förderung auch an den Ergebnissen zu messen.
    Völlig unangebracht ist der Verweis auf die Bedrohung in der DDR. Nach der Wende waren ja in der DDR plötzlich fast alle bedroht und jeder ist mit für die Wende verantwortlich, keiner hat mitgemacht. Ich selbst habe als politischer Häftling fast zwei Jahre im Staatssicherheitsgefängniss der DDR gesessen und mir würde nicht im Traum einfallen damit eine Förderung meiner künstlerischen Arbeit zu begründen. Dass diese Gesellschaft auch nicht der Traum ist wissen wir alle und selbstverständlich ist auch die Kunstszene ein Haifischbecken. Ich glaube aber nicht, dass im speziellen Fall die größten Zähne die dickste Förderung bewirken.
    Christoph Jahn 07.09.08

    Christoh Jahn - 07.09.2008, 15:38

  5. ---was für ein wunderbar missgünstiger Beitrag und Einblick in das Klima der "kunst"szene. Mein Beileid für die schwere Vergangenheit, aber
    dass es bei der Diskussion um die Kulturförderung in Erfurt nicht darum gehen soll,
    wer hier was und wieviel bekommt, sondern dass zusammen etwas unternommen und auf möglichst kreative Weise protestiert wird, und ein Beißen in einem angeblichen Haifischbecken
    keine Rolle spielen soll, was es meiner Meinung nach nicht überall gibt(vielleicht in den Gewässern unter der Krämerbrücke?), hat ein kleiner bissiger Fisch hier wohl noch nicht verstanden...
    na ja, unter Wasser ist auch schlecht hören...

    anarene - 08.09.2008, 10:52

  6. Kurze Antwort zum CDU-Kunstgewerbler Jahn. Glücklicher Weise ist ein solches unsolidarisches Verhalten, trotz aller Befürchtungen, eine absolute Ausnahme und nur noch im Team Kindervater zu hören. Ein kurzer Fakt, der mal Klarheit bringen soll. Das Kunsthaus Erfurt wurde von dem Verein gekauft und gehört dem Verein, und der Verein allein bestimmt, was mit dem Haus in Zukunft passieren wird.
    Und das konservative Gesäusel der letzten konservativen Künstler der Stadt Erfurt wird nicht mehr zu hören sein, wenn sich in zwei Wochen der Club 500 gründen wird. Ein Club von Künstlern, Kunstvermittlern, Architekten, Professoren, Musikern und jungen Kreativen. Er versteht sich als Netzwerk, Plattform des Austausches und Lobby.

    Dirk Teschner - 08.09.2008, 13:01

  7. Anscheinend wird hier ein anderer Jahn beschimpft. Ich für meine Person habe mit der CDU nichts am Hut und die Anerkennung für meine Arbeiten brauche ich nicht von zugemauerten Köpfen, die im übrigen gerade in der Kunst nichts zu suchen haben.

    Christoph Jahn - 08.09.2008, 13:44

  8. Wer die Politik eines Karl-Heinz Kindervaters unterstützt, direkt oder indirekt, kann sich nicht wundern, wenn er in der Nähe der CDU verortet wird. Der Bezug auf die Zeit in der DDR ist wichtig, da es die Kontinuität der Künstlerinnen, Betreiberinnen und des Umfeld des Kunsthauses zeigt. Gerade im Vorfeld des 20. Jahrestages des Herbsts 89 ist die Einstellung der Förderung ein fatales Zeichen.
    Richtig ist, dass es Gruppen und Vereine gibt, die auch keine Förderung erhalten, oder viel zu wenig. Deshalb ist es aber der völlig falsche Weg darüber zu diskutieren, wie viel Geld das Kunsthaus in der Vergangenheit erhalten hat. Das Kunsthaus ist ein nicht wegzudenkender Ort für zeitgenössische Kunst in Erfurt. Damit es so bleibt, braucht es die Unterstützung. Geld ist im Stadtsäckchen genügend und es würde für alle Kulturinitiativen reichen wenn die Stadt endlich die marode Kaisersaal Erfurt GmbH aufgeben würde. Die Kaisersaal Erfurt GmbH erhält nach dem aktuellen Wirtschaftsplan seit 2006 von der Stadt einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 782.400 Euro und hat nach Auskunft der gleichen Aufstellung einen Jahresverlust in Höhe von 1.101.100 Euro. Kein Wunder, dass für kleinere Kunstprojekte in Erfurt kein Geld mehr übrig ist

    Dirk Teschner - 08.09.2008, 17:45

  9. Noch einmal ganz deutlich, ich lasse mich nicht in irgendeine Ecke drängen und dass schon garnicht von Leuten die wohl völlig den Überblick verloren haben. In meinem Beitrag beziehe ich keinerlei Position zu einer Seite sondern werbe dafür, das große Ganze im Auge zu behalten. Dass der "Volksgeschmack" sich weit unten bewegt ist leider so, das nimmt aber den Menschen nicht das Recht auf das, was sie unter Kunst und Kultur verstehen und für sich beanspruchen. Sicher ist es wichtig da Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Diejenigen aber die keinen Zugang finden oder finden wollen sind genauso respektvoll zu behandeln. Ich stelle fest, dass hier einige glauben sie hätten Recht und Anspruch nur auf Ihrer Seite, solche Zeiten in denen wir das hatten sind zum Glück vorbei! Wenn dann die vermeintlichen Gegner noch beschimpft werden deklassiert sich das Ganze ohnehin. Es gilt also nach wie vor die Förderungswürdigkeit in der Sache nachzuweisen. Übrigens kann ich mir gut vorstellen was für ein Aufschrei durch die Stadt geht wenn die Wünsche des Herrn Teschner bezüglich des Kaisersaales in Erfüllung gingen.
    Wenn ich mir die Beiträge so ansehe zählt die Simme derer die anderer Meinung sind ja ohnehin nicht. Das ändert aber nichts daran, dass es Stimmen sind und ob einem deren Inhalt immer gefällt ist völlig egal.

    Christoph Jahn - 09.09.2008, 11:59

  10. Es wäre schön, wenn ein Aufschrei durch die Bevölkerung Erfurts gehen würde.
    Wenn sie merken, wie die Stadt Geld ausgibt. Natürlich will niemand den Kaisersaal schließen, sondern es soll kein Geld mehr von der Stadt bekommen, weil dass nicht notwendig ist. Dass es unnötig ist zeigt Wolfgang Staub. Mit einem ähnlichen Programm wie im Kaisersaal bespielt er unter dem Namen „Dasdie Veranstaltungs- und Kongresszentrum“ die drei Veranstaltungsort Alte Oper, DASDIE Live und DASDIE Brettl. Alles ohne städtische Zuschüsse und mit Gewinn.
    Der Kaisersaal ist eine Kapitalgesellschaft mit Beteiligung der Stadt. Da ist die Gastronomie und Veranstaltungs GmbH und die städtische Kaisersaal Erfurt GmbH. Während die Gastronomie- und Veranstaltung GmbH jährlich Gewinne einfährt macht die städtische Kaisersaal Erfurt GmbH einen Jahresverlust in Höhe von 1.101.100 Euro. Das ist auch der Erfurter Bevölkerung nicht erklärbar. Und ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass die meisten Erfurter nur seichte Kultur und Mittelalterstimmung wollen. Dass anspruchsvolle. zeitgenössische Kunst sehr viele Menschen erreicht zeigen ja die Besucherzahlen von Galerien und Kunstevents in Berlin und Leipzig. Die Minderheit sind nicht die, die sich für zeitgenössische Kunst und Kultur interessieren, sondern die, die denken, dass die Erfurter sich nur für Mittelalter und Fürstenkongress interessieren.

    Dirk Teschner - 09.09.2008, 14:36